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Okto TV / Oktoskop - Das Filmmagazin: 
Der Regisseur im Gespräch mit Amina Handke über das Dokumentarische Labor

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Duisburger Filmwoche 2014 / Deutschland-Premiere „Riding My Tiger – Trilogi Jawa III“:
Filmgespräch und Publikumsdiskussion mit Regisseur 

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WDR 5 / Scala - Aktuelles aus der Kultur: 
Gespräch mit dem Regisseur zur Verleihung des Eine Welt Filmpreis NRW

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Ö1 / Synchron - Das Filmmagazin: 
Filmbesprechung und Interview mit dem Regisseur



„Wir haben es uns zum Prinzip gemacht nicht zu fragen.“

Ascan Breuer im Gespräch mit Daniel Ebner (APA)



Wenn Armut im Dokumentarfilm porträtiert wird, schwingt ja gerne so eine Art Betroffenheitsdiskurs mit. In Jakarta Disorder sehen wir ganz im Gegenteil arme Menschen, die sich auf ihre eigenen Beine stellen und versuchen etwas zu ändern. War diese Entwicklung für Dich von Anfang an klar?

Ich wollte die aufkeimende Zivilgesellschaft in der neuen Demokratie Indonesien porträtieren und ein kaleidoskopartiges Gemälde der Megacity Jakarta malen. Dabei wollte ich zuerst auf das Thema Armut ganz verzichten, weil ich eben ein Gegner von mitleidserregender Elendsästhetisierung bin. Es hat sich dann aber gezeigt, dass das schwerlich geht, wenn eine Bevölkerung zu einem sehr großen Teil in Slums leben muss. Dies ist eins der Hauptprobleme der Stadt Jakarta und muss somit im Film aufgezeigt werden, gerade weil die Stadt an sich ja die eigentliche Hauptprotagonistin ist. Andererseits habe ich dann die intellektuelle „urban poor“-Aktivistin Wardah Hafidz kennengelernt und war sofort begeistert von ihrem ganzen Tun, ihrer Motivation und ihren Ideen. Da sah ich die Chance zu zeigen, wie sich Menschen aus einer so bedrückenden Armut selbst befreien können. Die Frage der Emanzipation von Unterdrückten ist ja auch Hauptthema meiner vorangegangenen Filme: In Forst habe ich zum Beispiel Flüchtlinge porträtiert und präsentiere sie nicht als jämmerliche Opfer sondern als Kämpfende, die sich das nicht gefallen lassen. Das wollte ich auch in JAKARTA DISORDER so tun. Ich selbst mag einfach Kämpfernaturen, und meine Emphase für Gejammer ist enden wollend.

Wir haben gleich zu Beginn eine sehr schöne Debatte zwischen Euch und einem Straßenhändler, der bezweifelt, dass ein Dokumentarfilm den armen Menschen überhaupt helfen könne: „Spendet lieber etwas, das ist wahre Hilfe.“ Wie schwierig war es für Euch tatsächlich in die Slums an die Menschen heranzukommen?

Unter mittelständigen Indonesiern gelten die Slums natürlich als gefährliche No-Go-Gebiete und wir wurden oft vor allen möglichen Gefahren gewarnt. Aber wir hatten ja Dank der Organisation Urban Poor Consortium, mit der wir dann angefangen haben zu arbeiten, gleich ein gutes Standing. Ich war zuerst sehr überrascht über den irrsinnigen Intellekt der Ungebildeten, also derjenigen, die keine Schulbildung genießen durften. Und auch über die Ehrlichkeit der Menschen in den Slums. Einmal hatten wir ein ziemlich teures Mikrofon liegengelassen, eine halbe Stunde später kam dann tatsächlich jemand hinter uns her: „Das gehört doch euch!“ Wir sind kaum auf Misstrauen gestoßen. Wir waren ziemlich schnell bekannt und konnten uns schnell auch ohne unsere Freunde frei bewegen.

Wie kamst Du auf die Hauptfiguren, die Intellektuelle Wardah und Oma Dela, die politisch aktive Slum-Bewohnerin?

Tatsächlich habe ich meine Recherchen über die Demokratiebewegung erst auf Aktivisten konzentriert, die aus gebildeteren Schichten kommen: Studenten, Journalisten, Künstler, Literaten... 2007 haben wir mit zwei völlig anderen Protagonisten angefangen: mit dem jungen Filmemacher Lexy Rambadeta und dem alte Dichter Martin Aleida. Lexy hat mir dann Wardah empfohlen – als eine der wenigen Persönlichkeiten Indonesiens, denen man auf jeden Fall trauen dürfe, wie er sich ausdrückte. Über Wardah haben wir dann Oma Dela kennengelernt. Zwei ältere Frauen, die vor nichts Angst haben, und das in einem muslimischen Land? Das könnte interessant sein, wenn man etwas über Emanzipation, gesellschaftliche Entwicklung und Demokratisierung erzählen möchte. Allerdings ist es gar nicht unüblich, dass indonesische Frauen charismatisch und offen sind. Dagegen ist die javanische Idee von Männlichkeit im Gegensatz zur europäischen, eher zurückhaltend zu sein, ein Sich-im Griff-haben.


War es schwierig, Wardah und die Aktivisten von Eurer Filmidee zu überzeugen?

Wardahs Haus stand uns sehr schnell offen. Und sie hat uns auch gleich überschüttet mit Dokumentationsaufgaben. Das ist nicht zu vermeiden, wenn man Aktivisten porträtiert. Sie hat uns in Schulprojekte, die sie in Slums macht, eingebunden, und in vieles mehr. Wir haben das natürlich alles brav aufgenommen. Aber das meiste führte vom eigentlichen Thema weg. Letztendlich kann ich zugeben, dass sie enttäuscht war, dass wir dann nicht das ganze Spektrum ihrer Aktivitäten im Film zeigen konnten.

Ihr geht von den Bauarbeitern in den Hochhäusern bis zu den Straßenmusikern relativ viele Milieus durch. Diese verschiedenen Formen informeller Arbeit stellen einen sehr schönen roten Faden dar. Andererseits kriegt man von der offiziellen Seite relativ wenig mit. War das für Dich eine bewusste Entscheidung?

Ja, klar. Das Problem ist doch, dass die Offiziellen immer bestimmte Antworten in der Schublade haben, warum es so sein muss, wie es ist: die berühmte „Alternativlosigkeit“. Und diese Statements müsste ich dann wieder widerlegen. Ich wollte aber das Leben der Marginalisierten porträtieren, warum also soll ich ihnen keine hundertprozentige Aufmerksamkeit geben, selbst wenn das als parteiisch gesehen werden könnte? Im Film gibt es zwei, drei Szenen, in denen wir zeigen, wie die Privilegierten denken, und wie dieses Denken abseits der Realität stattfindet, sogar abseits der eigenen…

Hat sich das Schwellenland Indonesien nicht gerade in jüngster Vergangenheit stark entwickeln können?

Ja, die Schwellenländer haben ja lustiger Weise stark profitiert von der Weltfinanzkrise, weil das Kapital dorthin geflüchtet ist. Als wir 2006/2007 angefangen haben, war Indonesien noch in einer wirtschaftlichen Depression, verursacht durch die asiatische Finanzkrise Ende der 1990er Jahre. Davor gab es schon einmal einen Boom der damals so genannten Tigerstaaten, der dann mit einem Totalabsturz der gesamten Region Südostasien jäh endete. Ich kam also 2006 in ein Land, in dem lauter bizarre Bauruinen rumstanden: 30 Stockwerke hohe Betonskelette! Dann bricht mitten im Dreh die Weltwirtschaftskrise aus und plötzlich fängt Jakarta an zu boomen und die Ästhetik des Films ändert sich. Aber seit ein paar Wochen wird auf den Wirtschaftsseiten wieder gewarnt. Momentan gibt es einen horrenden Kapitalabfluss aus den Schwellenländern und möglicherweise ist wieder eine große Blase am Platzen. So läuft das Spiel. Und mittendrin unsere Filmhelden, die vom Kuchen nie etwas abbekommen.

Mich hat´s ein bisschen gewundert, dass Ihr mit der Kamera in parlamentarische Gremien eindringen konntet. Wie ging das?

Wir sind einfach immer überall mitgegangen und haben uns zum Prinzip gemacht, nicht zu fragen. Vielleicht liegt das an der kulturellen Konstellation in Indonesien, dass man mit einer gewissen europäischen Kaltschnäuzigkeit viel weiter kommt als ein Einheimischer. Ein „positiver“ Rassismus, wenn man als offensichtlich nicht Einheimischer, sondern eben als „Westler“ überall mehr Zugang zu Dingen bekommt als andere.

Kurz vor Ende des Films tritt die Hauptfigur Wardah von ihren Funktionen zurück. Aber dann ist sie bei der Demo am Schluss wieder dabei und schreit an vorderster Front mit. Wie ist das zu verstehen?

Das Leben geht ja weiter. Und sie macht weiter, weil sie gar nicht anders kann. Der Film endet mit dem Auftreten eines Volkskandidaten, Jokowi, für das Bürgermeisteramt Jakartas, mit dem dann Wardahs Bewegung ihren „politischen Vertrag“ abschließen kann. Jokowi wurde dann ja im September 2012 auch gewählt und in den vergangenen anderthalb Jahren hat er sich tatsächlich als seriöser und charismatischer Politiker beweisen können. Jetzt kandidiert er bei den Präsidentschaftswahlen im Juli dieses Jahres und führt in den Umfragen haushoch! Er wird wahrscheinlich der nächste Präsident werden. Ich hoffe, dass das für die indonesische Gesellschaft ähnlich umwälzend sein könnte wie bei uns Kreisky, oder Brandt in Deutschland. Es bleibt spannend...

Nur ist das demokratische System in Europa historisch gewachsener als in Indonesien. Sind das vergleichbare Welten?

Was ich mit dem Film unbedingt zeigen möchte, ist, dass er auch für uns hier im Westen relevant und aktuell ist, obwohl er ja in dieser völlig fremden Welt spielt: Uns verbindet ja dieselbe Enttäuschung über die Dysfunktionen der Demokratie. Bis vor kurzem herrschte in Indonesien ein brutales Militärregime und ein Geheimdienst, der Dissidenten einfach verschwinden ließ. Unsere Protagonisten sind trotzdem sehr mutig, deshalb bin ich mir sicher, dass der Film auch den österreichischen Zuschauern Mut machen kann, ihre Köpfe nicht hängen zu lassen. Es bringt ja nichts nur über die Korruption hier und in der europäischen Bürokratie zu jammern...

Der lustige Wasserverkäufer, die Musikanten in den Bussen oder in der Bahn... Der Film lässt dem Zuschauer immer wieder Zeit zum Reflektieren. Wie schwierig war es für Dich eine gut funktionierende Dramaturgie zu finden?

Wir hatten über zweihundert Stunden Dokumentationsmaterial. Gerade weil der Film eine für uns so abwegige, exotische Welt porträtiert, war es für mich eine besondere Schwierigkeit zu entziffern, was für das hiesige Publikum verständlich ist und ihm auch etwas über unsere eigene Welt erzählen kann. Deshalb brauchte ich immer wieder Feedback. Ich habe also viele Leute zu zahlreichen Testscreenings eingeladen, um herauszufinden, was verständlich ist und was nicht. „Kill your Darling“, das Grundgesetz des Cutters, kam deshalb natürlich exzessiv zur Anwendung. Es war quasi ein Darling-Massaker.

Wie bringst du den Film dort hin, dass er auch wahrgenommen und diskutiert wird?

Wir hatten für die Produktion wenig Geld, also haben wir folglich für die Verwertung noch weniger Geld. Wir können Österreich leider nicht mit Plakaten zupflastern. Das einzige, was ich machen kann, ist Networking zu betreiben. Tatsächlich spricht der Film thematisch viele Menschen an, die sich zum Beispiel für Stadtentwicklung und Gentrifizierung interessieren, für Mega-Cities oder für die spannenden Kulturen und Lebenswelten Asiens und Indonesiens. Vor allen Dingen wird der Film aber für Leute, die etwas für progressive Demokratie übrig haben, einen großen Erkenntnisgewinn bringen. Da bin ich mir absolut sicher. Der Film zeigt ja eine Art Aktivismus, den man so noch nicht gesehen hat. Das Feedback von Seiten dieser Interessensgruppen ist enorm – und darauf bauen wir.

Woher kommt es, dass du dich so gut mit Indonesien auskennst und dich mit diesem Land befasst?

Meine Mutter kommt aus Indonesien. Meine Familie in Indonesien gehört dort der chinesischen Minderheit an –sind also keine, wie meine Mutter sagen würde, „echten“ Indonesier. Meine Mutter ist 1962, also drei Jahre vor dem Beginn der antikommunistischen Massenmorde mit null Cent nach Deutschland gekommen...